Stolen-Streetart in Hamburg

ratteIst Kunst, wenn sie “stolen” ist, noch Kunst? Sind Fälscher auch Künstler? Und ist es strafbar, Streetart zu kopieren, selbst wenn sie von jemandem kommt, der gesagt beziehungsweise gesprüht hat: “Copyright is for losers®™“? Fragen, die mir durch den Kopf gehen, als ich vor der Galerie “Stolen Streetart” in Eppendorf stehe, wo sich “stolen” Pieces von Banksy, Keith Haring, Bilder von Lucky Luke und Interpretationen von Magritte neben die eigenen Motive des Streetart-Künstlers Stolen reihen.

Wieder zurück in Berlin und immer noch auf der Suche nach Antworten, versuche ich, in die Regeln der Streetart-Szene einzutauchen. “Schlechte Künstler imitieren, große Künstler stehlen”, soll Banksy gesagt haben. Stolen aus Hamburg, der mit bürgerlichem Namen Jürgen heißt, formuliert es anders: “Es klaut sowieso jeder von jedem.”

Also gibt es keine Regeln. Es gibt nur Macher, Fans oder Kritiker. Solche, die versessen darauf sind, zu sprayen oder viel Geld für ein Streetart-Kunstwerk zu zahlen und solche, die nicht schnell genug dabei sein können, ein Graffito mit weiß zu überpinseln. Die meisten, die sprayen, vergöttern Banksy. Er ist ihr Held, das Phantom und viele würden es nicht wagen, ihn zu kopieren. Für andere sind seine Werke das Sprungbrett, der Einstieg in die faszinierende Welt der Streetart. In Amerika gibt es einen Straßenkünstler, der sich selbst Hanksy nennt. Er hat Werke von Banksy kopiert und sie allesamt mit dem Gesicht von Tom Hanks versehen. Mittlerweile ist er so populär, dass er aus Banksys Fußstapfen heraustreten konnte. Wenn ich mir die Pieces des Hamburger Streetart-Künstlers Stolen anschaue, dann ist er wohl auf einem ähnliches Pfad.

Stolen ist das, was man einen Ausnahmekünstler nennen kann. Ausnahme deshalb, weil er das Sprayen oder besser das Stencil Sprayen – die Kunst mit Schablonen Streetart zu erzeugen, erst 2011 gelernt hat – da war er 63 Jahre alt. Dafür hat ihn die Leidenschaft sofort gepackt. Man sieht es ihm an – Stolen ist jemand, der das, was er tut, auch wirklich lebt. Egal ob als Schriftsetzer, als Kellner auf St. Pauli, als Lagerarbeiter oder so wie jetzt als Streetart-Künstler. Pro Tag entstehen oft mehrere Pieces. “Ich muss am Abend sehen, was ich getan habe. Ich brauche ein Ergebnis. Dafür ist diese Kunst ideal.” sagt er und zündet sich eine Zigarette an. “Sind Streetart-Künstler nicht eher auf der Straße zu finden, als in einer Galerie?” will ich wissen. Er lacht: “Das einzige, was ich je an eine Hauswand gesprüht habe, ist die Banksy Imitation draußen vor dem Laden. Ich bin zu alt, um an Hauswände zu sprühen. Ich komme doch nicht mehr so schnell weg.” Ja, weglaufen muss man können, denn Graffiti im öffentlichen Raum ist nicht nur in Deutschland grundsätzlich verboten. Da ist es auch egal, ob man Banksy oder Jürgen heißt.

Aber Streetart in einem Laden in Eppendorf – das klingt, als würde man eine Currywurstbude neben die Villen auf der Elbchaussee stellen und war es nicht auch Banksy, der gesagt hat, dass wahre Kunst nur draußen entstehen kann?
“Wie gesagt, ich kann ja nicht draußen arbeiten und so war eine Galerie, wo ich auch sprayen kann, mein Traum. Das ich jetzt hier bin, verdanke ich mehreren Zufällen.” Der Besitzer des Hauses Eppendorfer Landstraße 99/101 hatte Stolen und seine Bilder auf der Altonale entdeckt und ihm die Räume mietfrei angeboten. Der Haken – das ganze Gelände, das früher zum “Alten Brauhaus” gehörte, soll nach neuesten Plänen abgerissen werden. Nun protestiert eine Bürgerinitiative für den Erhalt des alten Eppendorfer Kerns. Es ist also ungewiss, wie lange Stolen dort noch bleiben kann.

Pläne für die Zukunft hat er nicht wirklich. “Wer weiß, wie lange ich das überhaupt noch kann.” sagt er und verweist auf seinen Lebenswandel und sein Alter. Trotzdem hofft er natürlich, dass die Abriss-Bagger noch eine Weile fernbleiben. Und wenn nicht? “Dann gehe ich traurig nach Hause, ohne Visionen, aber mit der Gewissheit, einigen Leuten eine Freude bereitet zu haben”. Eppendorf hat er ins Herz geschlossen – genau wie die Eppendorfer ihn und seine Galerie. Vielleicht auch, weil er mit seiner Kunst ein wenig Hype, ein wenig Anderssein in den sonst eher bürgerlichen Stadtteil bringt.
Doch es gibt nicht nur Liebhaber. Über seinen Banksy hat jemand “Toy” gekitzelt, was in der Szene so viel wie “Anfänger” bedeutet. Das Toy ist weg – dafür steht jetzt ein Herz mit ein paar Zeichen darüber, die wohl bedeuten, das Stolens Bilder in der Szene unter Schutz stehen. Trotzdem hat ihm irgendwer vor ein paar Wochen die Scheibe eingeworfen. Neider? Oder Leute, die nicht mögen, dass Stolen ein eingefleischter Fan des FC. St. Pauli ist? Man weiß es nicht und Stolen ist es auch egal. Er lacht darüber und hat den großen Riss in der Scheibe auf seine Art oder besser mit seiner ART repariert.

 

 

 

 

 

Ob er, mit dem was er macht, reich werden will, frage ich ihn. Das sei nicht das Konzept, das hinter seiner Arbeit steckt. Viel wichtiger scheint es Stolen, dass seine Bilder in so kurzer Zeit den Sprung über Hamburgs Grenzen geschafft haben. Ein Piece hängt sogar in Singapur – gekauft von einem Durchreisenden, der mit seinem Auto auf der Straße an der Ampel stand und zufällig nach rechts in die Galerie geschaut hat. Was Stolen mindestens ebenso stolz macht wie die Reichweite seiner Kunst, ist, dass es Leute gibt, die sagen, er würde zu den Top Ten der deutschen Sprayer zählen. Vor allem durch die besondere Fertigkeit, die Augen so lebendig wirken zu lassen. Und wirklich – er ist ein Naturtalent. Einer, der spät zu seiner Professur gefunden hat und darum fast schon wie besessen daran arbeitet, die Zeit so intensiv es geht zu nutzen und ein Piece nach dem anderen zu produzieren. Und so füllt sich die Galerie, während seine Fangemeinde täglich größer wird. Sicher wird kein zweiter Banksy aus ihm, aber klar ist, dass es keine Rolle spielt, ob das, was er tut, “stolen” ist – die Interpretation und das handwerkliche Können geben seinen Bildern einen ganz eigenen Charme und ein eigenes Gesicht.

Dafür lohnt sich der Weg nach Eppendorf auf jeden Fall!

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Fotos und Text: Jeannette Hagen

Stolen Streetart findest Du im Internet unter: www.stolen-streetart.de oder unter Facebook Stolen Streetart. Die Galerie befindet sich in der Eppendorfer Landstraße 99, 20251 Hamburg / geöffnet Mo-Fr vo 17:00 bis 20:00 Uhr und Sa von 11:00 bis 14:00 Uhr

Veröffentlicht am: 05.05.2014 | Kategorie: Kunst, Kunst - was sonst noch passiert, | Tag: Stolen, Streetart,

Eine Meinung zu “Stolen-Streetart in Hamburg

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